Die Raumplanung steht heute nicht nur vor vielen einzelnen Herausforderungen, sondern vor der grossen Aufgabe, sie miteinander in Einklang zu bringen. Damit Städte und Gemeinden die gesetzten ambitionierten Ziele erreichen, braucht es kurzfristige Weichenstellungen.
Vor zehn Jahren wurde die Revision des Raumplanungsgesetzes (RPG) mit grosser Zustimmung angenommen. Sämtliche Kantone und Gemeinden sind seither angehalten, ihr Siedlungsgebiet zu begrenzen oder gar zu reduzieren. Alle Kantone haben ihre Richtpläne angepasst und entgegen der häufig geäusserten Kritik, es werde zu wenig umgesetzt, sind auch die Gemeinden und Städte engagiert an ihren Ortsplanungen und Entwicklungsaufgaben. Aber sie stossen an die Grenzen der Akzeptanz, der Verfahrensdauer, der Komplexität und des Verhandlungsbedarfs mit allen Betroffenen und Akteuren.
Im Juni dieses Jahres wurde erfreulicherweise auch das Klimagesetz angenommen. Es gibt das Ziel von Netto-Null bis 2050 vor und macht präzise Angaben für die Verminderung der Treibhausgase für die Zeithorizonte 2040 und 2050, differenziert nach den Sektoren Gebäude, Verkehr und Industrie. Einzelne Städte haben bereits ambitioniertere Ziele mit beispielsweise Netto-Null 2040 beschlossen. Auch wenn uns das noch nicht bewusst ist: Netto-Null betrifft unsere planerische Tätigkeit grundlegend, den Lebensraum, die Mobilität, die Wirtschaft, den Städtebau und die Raumplanung.
Klimaanpassung auf Crashkurs
Doch damit nicht genug: Die Klimaveränderungen sind bereits Realität und haben Einzug gehalten in die Planungen der Gemeinden und Städte. Wir brauchen deutlich mehr Bäume und deutlich weniger Asphalt. Beschattung, Kühlung, der Umgang mit Wasser, Entsiegelung und Begrünungen sind wichtige Gebote bei der Gestaltung unseres Lebensraums. Die Wahrnehmungen breiter Kreise haben sich schlagartig verändert: Ein Platz ohne Bäume, kahle Asphaltflächen und Gebäudeabbrüche lösen reflexartig Kritik aus. Umso frustrierender ist es, wenn bestehende Vorschriften die besseren, klimaresilienteren Lösungen verhindern: Der Baum scheitert an den Abständen, die Entsiegelung an den Pflichtparkplätzen, das Weiterbauen an den Abstandsvorschriften, um nur einige Crashs zu nennen.
Innenentwicklung + Netto-Null+ Klimaanpassung
Ohne Zweifel besteht durch die Kumulation der Innenentwicklung mit Netto-Null und der Klimaanpassung aktuell eine explosive Gemengelage. Es müssen grundlegende raumrelevante Fragen verhandelt werden: Welche Entwicklung, welchen Lebensstil, welches Wachstum wollen wir? Wo verändern wir, wo verzichten wir, wie gestalten wir unter den veränderten Prämissen Lebensraum? In der täglichen Praxis erleben wir dabei einen grossen Gap zwischen den möglichen, erfolgsversprechenden, wissenschaftlich fundierten und zukunftsweisenden Lösungsvorschlägen und der gesellschaftlichen und politischen Akzeptanz.
Vier Weichen auf dem Kurs der Raumentwicklung zu Netto-Null
Um unsere Handlungs- und Zukunftsfähigkeit zu erhalten, braucht es kurzfristige Weichenstellungen, die uns auf Kurs bringen. Dazu vier Vorschläge:
- Gebäudepark: Weiterbauen als erste Wahl
Der Gebäudepark ist schweizweit für rund ein Viertel der CO2-Emissionen verantwortlich. Weiterhin müssen gemäss Energie Schweiz etwa eine Million Gebäude energetisch saniert werden. Die Kombination von Sanieren und zusätzlichen Wohnungen ist wirtschaftlich interessant. Der Fokus muss somit deutlich auf das Weiterbauen gelenkt werden. Damit kann auch die überfällige Diskussion der Baukultur in der Agglomeration ins Rollen gebracht werden: Aktuell werden Stadttypologien aus Mailand, Berlin und Zürich in die Agglomerationen exportiert. Das Bauen im Bestand und das Weiterbauen bieten die grosse Chance, stärker auf die Orte einzugehen, Vorhandenes in Wert zu setzen und Verdichtungen aus dem Ort für den Ort vorzuschlagen. - Mobilität: Mut zur Testphase
In der Verkehrsplanung erleben wir die grössten Widersprüche und Blockaden. Hier greifen die postulierten Lösungen stark in unsere Gewohnheiten ein. Das Prinzip, dass überall vergleichbare Mobilitätsangebote zur Verfügung gestellt werden, ist noch dominant. Mobilität in der Stadt, in der Agglomeration und auf dem Land unterscheidet sich aber grundlegend. Tatsächlich stehen die Siedlungsdichte und das Mobilitätsverhalten in einer starken Wechselwirkung. Die Zukunft muss verstärkt in die Richtung von differenzierten Mobilitätsangeboten gehen, mit dem Ziel, Strassenräume als Lebensräume deutlich aufzuwerten. Das ist alles nicht neu, an der Umsetzung scheiden sich aber die Geister. Unser Vorschlag: Mut zum Versuch und zur Testphase! - Gesetze: keine Zeit verlieren
Damit bereits bekannte Lösungsansätze nicht auf alte Regelungen auflaufen, müssen die bestehenden Gesetze und Vorschriften an die zukünftigen Anforderungen angepasst werden. Gemeinden, die schon heute Regelungen für bessere Rahmenbedingungen für Bäume, verminderte Abstände bei Anbauten, einfachere Aufstockungen und Bevorzugung für das Weiterbauen gegenüber Ersatzneubauten umsetzen möchten, scheitern häufig an den sperrigen kantonalen Bau- und Planungsgesetzen und an fehlender gesetzlicher Flexibilität. Nicht zögern und sofort ändern. - Städtebau: noch interdisziplinärer
Wir verstehen Städtebau als ganzheitliches und erfolgreiches Instrument zur Lösungsfindung im Dschungel der komplexen und oft widersprüchlichen Anforderungen. Die Ansprüche an den Städtebau werden noch interdisziplinärer: Das Primat des Weiterbauens, der Einbezug der Biodiversität, die Anforderungen des Klimawandels und nicht zuletzt unsere sozialräumlichen Anforderungen an die Gestaltung des Lebensraums setzen neue Akzente. Das ist vielversprechend und gut so! Wichtig ist, dass auch die Umsetzung erfolgt. Erst dann sind wir auf Kurs.
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